Curriculum vitæ

schsuter-2Ich wurde am 25. September 1952 in Wien als zweites Kind eines Lehrerehepaares geboren. Mein Vater, OStR Prof. Dr. Alfred Schuster (1910-1980) war Gymnasialprofessor (Latein, Deutsch), meine Mutter, Elisabeth, geb. Schmid (1925-2007), Volksschullehrerin. Meine Kindheit und erste Jugend verbrachte ich mit meinen Eltern und meiner Schwester Elisabeth-Ulrike (*1950) in Ebreichsdorf, wo schon viele meiner Vorfahren gewohnt und meine Eltern 1956 die Villa Weil erworben hatten.

Von meinem Vater, der in seiner Jugend Schüler von Oswald Kabasta (1896-1946) gewesen und, seiner eigentlichen inneren Berufung folgend, selbst auch als Komponist, Sänger, Chordirigent, Pianist und Bratschist tätig war, erhielt ich ab Jänner 1959 regelmäßigen Klavierunterricht. Daß das Rückgrat dieses Unterrichts Bartóks „Mikrokosmos“ – und nicht eine der traditionellen und meist banalen Klavierschulen – war, ließ mich von Anfang an erahnen, was Musik vermag. Nach einem kurzen (und sehr unglücklichen) Intermezzo an der städtischen Musikschule in Wien-Favoriten übernahm ein Studienkollege meines Vaters, Prof. Wilhelm Hübner-Langenbruck (1911-1989), dessen Privatschüler ich von 1963 bis 1969 war, meine weitere musikalische Ausbildung. Von 1963 bis 1971 besuchte ich das Bundesrealgymnasium in Wien X. (Ettenreichgasse), wo auch mein Vater unterrichtete; ich hatte so das Privileg, an fünf Tagen der Woche auf der Hin- und Rückfahrt zur Schule meinen Vater ganz für mich alleine zu haben – und obwohl ich allen Grund hatte, mit meinen Lehrern (ebenso wie mit meinen Mitschülern) höchst zufrieden zu sein, betrachte ich diese Gesprächsstunden bis heute als mein eigentliches „Gymnasium“.

Im Herbst 1969 machte ich auf Betreiben meines bisherigen Lehrers die Aufnahmsprüfung an die Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, wo Prof. Hans Graf (1928-1994) mein geliebter und bewunderter Lehrer wurde. In diese, für mich überaus anregenden Studienjahre (1969-1974) fällt auch der Beginn meiner Konzerttätigkeit. Da ich im Frühling 1971 mit Auszeichnung maturiert hatte, konnte ich Prof. Grafs Anerbieten, mit ihm auf ein Jahr in die USA zu gehen, dankbar annehmen. Das Studienjahr 1971/72 verbrachte ich daher als Gaststudent an der Indiana University School of Music in Bloomington. Dieses Jahr wurde in vieler Hinsicht für meinen weiteren Lebensweg bestimmend: Ich hatte in Bloomington Gelegenheit, neben dem Unterricht bei Prof. Graf in den Klassen von Menahem Pressler (*1923) und Jorge Bolet (1914-1990) zu hospitieren, vor allem aber mit einer Reihe von begabten Studenten der Klassen Ruggiero Ricci (1918-2012) und William Primrose (1904-1982) regelmäßig Kammermusik zu betreiben, eine für mich damals neue Erfahrung, die mein musikalisches Weltbild grundlegend veränderte und wesentlich bereicherte. Außerdem ergriff ich die Gelegenheit, an der hervorragenden Slavistikabteilung der Universität mit dem Russischstudium zu beginnen. Nach Wien zurückgekehrt, legte ich 1974 die Diplomprüfung mit Auszeichnung ab. Prof. Dieter Weber (1932-1976), mit dem ich kurz danach eher zufällig in Kontakt kam und dessen Privatschüler ich für einige Zeit wurde, bestärkte mich in meiner Absicht, meine Studien im Ausland fortzusetzen. Als erster österreichischer Pianist kam ich so im Studienjahr 1974/75 als Staatsstipendiat an das Moskauer Čajkovskij-Konservatorium, wo ich in die Klasse von Vera Gornostaeva (*1929) aufgenommen wurde. Das Spannungsfeld zwischen stimulierendem Leistungsdruck und einer mich ständig und heftig zum Widerspruch reizenden musikalischen Ideologie erwies sich für mich als überaus fruchtbar. Viele meiner musikalischen Überzeugungen haben hier im Wechselspiel von Zustimmung und Ablehnung zum ersten Mal klarere Gestalt angenommen. Auch meine Liebe zur Kammermusik fand in den Klassen von Konstantin Adžemov (1911-1985) und Valentin Berlinskij (1925-2008) und im zwanglosen gemeinsamen Musizieren, zu dem das legendäre und kosmopolitische Studentenheim in der Malaya Gruzinskaya den idealen Rahmen bot, neue Nahrung. Vor allem aber traf ich hier in Zaouré Bažeeva (*1953), die – nach in ihrer Heimatstadt Almaty abgeschlossenen Klavierstudien – im zweiten Jahrgang Musikwissenschaft studierte, das Mädchen meines Lebens, das ich schon am 15. April 1975 zu meiner Ehefrau machte.

Im Herbst 1975 nahm ich einen mir angebotenen Lehrauftrag an der Wiener Musikhochschule an und kehrte nach Wien zurück, wo ich auch meine Studien mit Dieter Weber bis zu dessen Tod fortsetzte. 1977 durfte ich an Wilhelm Kempffs Beethoven-Seminar in Positano teilnehmen; die Begegnung mit diesem Meister gehört neben derjenigen (weit flüchtigeren) mit Rudolf Serkin zu den prägendsten Eindrücken meines Musikerlebens.

Der Tod meines Vaters am 8. März 1980 (wenige Tage nach der Geburt unseres ersten Sohnes, Edmund-Philipp – eine Tochter, Ninon-Daredjan, war uns schon 1978 geschenkt worden) bezeichnete einen tiefen und schmerzlichen Einschnitt in meinem Leben.

Mit der Geburt unseres dritten Kindes, Arno-Christian (1982), war unsere Familie vollzählig; meine Frau, die an der abstrakten Musikwissenschaft, wie sie im Westen mit Vorliebe gepflegt wird, wenig Gefallen gefunden und daher dieses Studium schon bald mit dem der Literaturwissenschaft vertauscht hatte, brachte es mit bewundernswerter Disziplin und Beharrlichkeit fertig, neben der Betreuung unserer Kinder und der Führung des Haushaltes, wobei ich sie wegen meiner Konzertreisen allzuoft im Stich lassen mußte, dieses Studium 1989 mit dem Doktorat abzuschließen.

Obwohl ich in diesen Jahren meine solistische Tätigkeit fortsetzte, war mir mit zunehmender Deutlichkeit bewußt geworden, daß meine eigentliche musikalische Heimat die Kammermusik ist. In den Jahren 1979-1984 hatte sich daher das Hauptgewicht meiner Tätigkeit kontinuierlich in diese Richtung verschoben. Meine definitive Entscheidung für die Kammermusik fällt mit der Gründung des Wiener Schubert Trios (am 31. Jänner 1984, dem 187. Geburtstag Schuberts) zusammen. Meine Partner bei diesem Wagnis waren zunächst der aus Kiev stammende Geiger Boris Kuschnir (*1948) und der philharmonische Cellist Fritz Dolezal, der das Ensemble wegen seiner Orchesterverpflichtungen freilich schon nach etwas mehr als einem Jahr wieder verlassen mußte; mit der für ihn so typischen impulsiven Entschlossenheit trat Martin Hornstein (1954-2009) im Mai 1985 an seine Stelle.

Die große internationale Resonanz, die das Wiener Schubert Trio in den Jahren seines Bestehens (1984-1993) fand, bestimmten mich dazu, mich an der Wiener Musikhochschule um eine meiner geänderten Qualifikation entsprechende Tätigkeit zu bemühen. Da sich dieser Wunsch nicht verwirklichen ließ, bat ich 1986 um die Lösung meines Dienstverhältnisses und lebte von da an bis zur krankheitsbedingten Beendigung meiner aktiven Pianistenlaufbahn (2012) als freischaffender Musiker. Im selben Jahr 1986 wurde das Wiener Schubert Trio das erste Mal als Dozentenensemble zu den Wiener Meisterkursen eingeladen. Dieser Kurs fand im Laufe der Jahre so guten Anklang, daß – nach einem zweijährigen Versuchsstadium – im Herbst 1992 als Ergänzung dazu am damaligen Konservatorium der Stadt Wien (der heutigen Konservatorium Wien Privatuniversität) eine „Hauptfachklasse Klavierkammermusik“ in Form eines aus jährlich fünf, je einwöchigen Seminaren bestehenden Diplomlehrganges eingerichtet werden konnte, dessen Organisation und Leitung mir anvertraut wurde.

Eine besondere Anerkennung war es für uns, daß das Wiener Schubert Trio seit der Saison 1988/89 einen eigenen Klaviertrio-Zyklus bei der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien programmieren durfte – ein Novum in der langen Geschichte dieser Institution. Nach der durch interne Unverträglichkeiten erzwungenen Auflösung des Wiener Schubert Trios im Februar 1993, einer improvisierten, „namenlosen“ Interimsphase (in der die blutjunge Priya Mitchell für einige Monate Geigerin des Trios war) und der formellen Neugründung des Ensembles mit Amiram Ganz (*1952 Montevideo) als neuem Geiger unter dem Namen Altenberg Trio Wien (27. November 1993) führte das neue Trio die Tätigkeit seines Vorgängerensembles in allen Bereichen, einschließlich der pädagogischen Arbeit (Konservatorium der Stadt Wien bzw. Konservatorium Wien Privatuniversität, Accademia di Musica di Pinerolo, Seminare im In- und Ausland), fort. 1999 wurde das Altenberg Trio für seine Gesamteinspielung der Schumannschen Klaviertrios in der Schumannstadt Zwickau mit dem Robert-Schumann-Preis ausgezeichnet, 2000 erhielt das Ensemble für seine Aufnahmen amerikanischer Trios den in Amsterdam verliehenen Edison-Preis.

2004 wurde für das Trio ein Schicksalsjahr: Im August verstarb Daniel Ganz, der Sohn unseres Geigers, nach fast zweijährigem Krankheitsmartyrium, und im Oktober verließ Martin Hornstein, der 19 Jahre lang mein unentbehrlicher Cellopartner gewesen war, das Ensemble; sein Nachfolger wurde – nach einer turbulenten Übergangszeit, die das Trio nur dank der selbstlosen Hilfe des großartigen Othmar Müller, den uns das befreundete Artis Quartett kurzfristig „borgte“, unbeschadet überlebte – im Jänner 2005 der junge Alexander Gebert (*1977 Warszawa). In den acht Jahren, die dem Ensemble in dieser verjüngten Besetzung geschenkt waren, konnte die unorthodoxe Repertoirepolitik des Trios konsequent fortgesetzt und die Diskographie um einige rare Stücke ergänzt werden. Der Tod meiner Mutter am 28. Jänner 2007 und eine Krankheit, die sich bald danach bei mir erstmals bemerkbar machte und mir das Klavierspiel zunehmend erschwerte, überschatteten diese Phase aber nachhaltig. Als dann Alexander Gebert im Herbst 2010 als Professor an die Detmolder Musikhochschule berufen wurde, faßte ich den schweren Entschluß, meine aktive Musikerlaufbahn zu beenden und dem Altenberg Trio die Möglichkeit zu einem wirklichen Neubeginn zu geben. Neben Amiram Ganz, der in diesem neuen Ensemble für die Kontinuität sorgt, haben Christopher Hinterhuber (*1973 Klagenfurt) und Christoph Stradner (*1970 Wien) als seine neuen Triopartner meine Hoffnungen nicht enttäuscht, so daß ich mich seit dem Herbst 2012 ganz ohne Reue – hörend, schauend und nachdenkend – der „vita contemplativa“ hingeben darf, in deren Zentrum natürlich unverändert die Musik steht.
Claus-Christian Schuster