Pirchner – PWV 29b

Werner Pirchner
* 13. Februar 1940, Hall in Tirol
10. August 2001, Innsbruck

Heimat? Trio für Violine, Violoncello und Klavier, PWV 29b

komponiert: Februar 1988/Juli 1992, Thaur bei Innsbruck

Uraufführung: Obergurgl, 3. September 1992
Wiener Schubert-Trio:
Claus-Christian Schuster (*1952), Klavier
Boris Kuschnir (*1948), Violine
Martin Hornstein (1954-2009), Violoncello

Die Stimme Tirols, die in der österreichischen Musikgeschichte der Vergangenheit eigentlich immer nur eine kaum wahrnehmbare Nebenstimme war, ist mit dem Werk zweier so grundverschiedener Komponisten wie Erich Urbanner und Werner Pirchner in den letzten Jahren unüberhörbar in den Vordergrund getreten. Während Urbanner nicht nur als Schaffender, sondern auch als hervorragender Pädagoge die Physiognomie der musikalischen Avantgarde Österreichs entscheidend mitprägt, hat Pirchner unserer Musik durch die unorthodoxe Verbindung der beiden nach wie vor meist hermetisch gegeneinander abgeschotteten Welten der Musik, die man salopp als E- und U-Musik zu bezeichnen gewohnt ist, neue Landschaften erschlossen. Es ist kein Zufall, daß Österreichs mediale Visitenkarte auf dem Gebiete der Musik, das Radioprogramm Ö1, ausgerechnet Werner Pirchners musikalische Unterschrift trägt: Kein anderer österreichischer Komponist der Gegenwart hat fernab von partikularistischem Provinzialismus der Eigenart seines Landes so originellen und unverwechselbaren Ausdruck gegeben. Seine musikalische Sprache hat, so eigenwillig sie auch ist und so sehr sie sich auch allen gängigen Etikettierungen verweigert, nichts mit jenen schrullig-verschrobenen Austriazismen zu tun, die allzuoft für das eigentliche Spezifikum österreichischen Selbstverständnisses gehalten werden. Werner Pirchner ist, wie sein ihn an Berühmtheit noch immer übertreffender prähistorischer Landsmann vom Similaun-Gletscher, ein Grenzgänger. Er hat für alle so unselig weit auseinanderklaffenden Idiome und Welten der Musik ein offenes und kritisches Ohr und hat sich, ohne jemals sein eigenes Ich zu verleugnen, vieles anverwandelt, was auf den ersten Blick unvereinbar erschien. Dennoch ist er durch die Stärke seiner Persönlichkeit der Gefahr des modisch-multikulturellen Ragouts der Postmoderne entgangen. Effekthascherei und Anbiederung, diese Hauptmotive der musikalischen Massenproduktion, liegen ihm ebenso fern wie das esoterische Kalkül des narzißtischen Elitarismus. Weil das alles so ist, verzeiht man ihm gerne die wenigen „oberflächlichen“ Schrullen, die er natürlich auch hat: wenn er in den Taktbezeichnungen konsequent die „Viertel“ nicht in arabischen Ziffern sondern mit weingefüllten Viertelgläsern notiert, so hat das zwar vielleicht ein wenig mit seinem Leben, aber kaum etwas mit der Aussage seiner Musik zu tun und ist also nicht mehr als ein amüsanter „Gag“; daß er aber anstelle der rituell-schematischen Spielanweisungen seinen Interpreten schlicht „Suche!“, „Finde!“, „Freu´Dich!“, „Zerstöre!“ und  „Weine!“ zuruft ( – letzteres hat nur phonetisch mit dem Inhalt der obigen Viertelgläser zu tun), führt uns mitten in das Wesen seiner Musik, die mit spielerischer Phantasie immer an den ganzen Menschen appelliert.

„Heimat?“ wurde als Bühnenmusik für die Wiener Erstaufführung von Felix Mitterers „Kein schöner Land“ am Volkstheater im Februar 1988 für Violine und Klavier geschrieben und auf unsere Anregung hin im Juli 1992 zu einem Klaviertrio umgearbeitet. In Mitterers Drama wird, in freier Bearbeitung eines historischen Falles, die Geschichte eines Juden erzählt, der als Viehhändler in einem abgeschiedenen Bergdorf lebt und so perfekt assimiliert ist, daß auch sein Sohn nichts über seine Herkunft weiß. Die Demaskierung und Zerstörung dieser Idylle vor dem geschichtlichen Hintergrund der Jahre 1933-1945 kulminiert darin, daß der Sohn, ein fanatischer Nationalsozialist, in einem Vermichtungslager seinen Vater und anschließend sich selbst erschießt. Pirchner hat zu diesem aufwühlenden Bericht eine stille und unaufdringliche Musik ganz ohne Pathos geschrieben. Er braucht keine plakativen Anklage- und Schmerzensgebärden, sondern berührt durch die Schlichtheit, mit der er die hoffende Sehnsucht nach dem immer wieder zerstörten Glück anklingen läßt. Wenn am Ende des vierten Satzes die Musiker nacheinander zu spielen aufhören, so ist das kein billiger Gag und schon gar kein Haydn-Zitat, sondern macht unser mitleidendes Verstummen sinnfällig, das so viel durchdringender sein kann als der grellste Protestschrei. Doch die Unmittelbarkeit von Pirchners Musik läßt ihre Nacherzählung ganz besonders überflüssig erscheinen: Wer Ohren hat, der höre.

© Claus-Christian Schuster