Schubert – Trio D 28

Franz Schubert
* Wien, 31. Jänner 1797
Wien, 19. November 1828

Sonate (Allegro) für Klavier, Violine und Violoncello, B-Dur, D 28

komponiert: Wien, 27. Juli – 28. August 1812
Uraufführung: nicht dokumentiert
Erstausgabe: Philharmonischer Verlag, Wien, 1923

Was der fünfzehnjährige Schubert hier, wohl für gemeinsames Musizieren mit seinen Schulfreunden im Stadtkonvikt, konzipiert und nur zum Teil ausgeführt hat ( – der autographe Titel „Sonate“ verrät recht unmißverständlich den Plan eines mehrsätzigen Werkes – ), ist bei aller entwaffnenden Naivität doch auch ein Stück Prophetie: Mit ihrer, für ein Werk so offensichtlich „häuslichen“ Zuschnitts ungewöhnlichen Großflächigkeit nimmt schon die Exposition einen wesentlichen Zug des anderthalb Jahrzehnte entstandenen „richtigen“ B-Dur-Trios (op. 99 / D 898) voraus. Und während man von einer Durchführung fast nicht sprechen kann – sie ist, wie in manchen Werken der Frühklassik, durch einige wenige Überleitungs- und Rückführungstakte kaum mehr als angedeutet – überrascht uns die Reprise durch tiefgreifende Neuordnung des Materials bei exakter Wahrung der Proportionen.

Dieser letzte Umstand hat jene Schubertspezialisten hellhörig werden lassen, die sich besonders intensiv mit dem Frühwerk des Meisters beschäftigt haben. Schon Alfred Orel (1889-1967), der einige Jahre vor den von ihm mitbetreuten großen musikalischen Zentenarfeiern (100. Todestag Beethovens 1927, 100. Todestag Schuberts 1928, 100. Geburtstag von Johannes Brahms 1932) diese früheste erhaltene Schubertsche Klavierkammermusik aus ihrem Dornröschenschlaf riß und der Öffentlichkeit vorlegte, bemerkte, daß das Autograph unserer „Sonate“, das zu den Schätzen der Musiksammlung der Wienbibliothek zählt, drei sich im Schriftbild deutlich voneinander unterscheidende Arbeistphasen erkennen läßt, die sich mit den Hauptabschnitten der klassischen Sonatenhauptsatzform (Exposition, Durchführung, Reprise) decken. Dieser Befund erklärt auch die für einen Einzelsatz eher lange Entstehungszeit des Stückes (laut autographer Datierung 27. Juli bis 28. August 1812), die auf den ersten Blick dem Bericht eines Mitzöglings des Komponisten, zu widersprechen scheint – Albert Stadler (1794-1888), der gerade 1812 zum Abschluß seiner Studien an das Konvikt gekommen war, beschreibt uns Schuberts Arbeitsweise nämlich so:

„Interessant war es, ihn komponieren zu sehen. Sehr selten bediente er sich dabei des Klaviers. Er sagte öfters, es würde ihn dies aus dem Zuge bringen. Ganz ruhig und wenig beirrt durch das im Konvikte unvermeidliche Geplauder und Gepolter seiner Kameraden um ihn her, saß er am Schreibtischchen vor dem Notenblatte und Textbuche niedergebeugt (er war kurzsichtig), biß in die Feder, trommelte mitunter prüfend mit den Fingern, und schrieb leicht und flüssig, ohne viele Korrekturen fort, als ob es gerad so und nicht anders sein müßte.“

Daß Schubert die Arbeit in diesem besonderen Fall nicht ganz so „leicht und flüssig“ wie sonst von der Hand ging, mag mit einem äußeren Umstand zu tun haben, auf den uns die Datierung hinweist: In einer Handschrift der 1. Messe (c-moll, PWV B10) des deutschen Komponisten Peter von Winter (1754-1825), die sich in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek erhalten hat, finden sich – neben einer ganzen Reihe anderer Vermerke von Konviktszöglingen aus der Zeit zwischen 1797 und 1822 – auch zwei Eintragungen, die Anfang und Ende von Schuberts Sängerknabendasein dokumentieren: Am Ende der 2. Altstimme hat sich Schubert am 10. März 1807 unterschrieben, also schon anderthalb Jahre vor seiner offiziellen Aufnahme in das „k. k. Stadtkonvikt“, während an der entsprechenden Stelle der 1. Altstimme zu lesen ist:

„Schubert Franz zum letztenmahl gekräht. Den 26. July 1812“.

An unserer Sonate hat Schubert also gerade am Tag nach seinem letzten Einsatz als Sängerknabe zu arbeiten begonnen. Wenn auch der beginnende Stimmbruch nicht zwangsläufig das Ausscheiden aus dem Konvikt nach sich zog (Schubert scheiterte im darauffolgenden Studienjahr an der Mathematik), so markierte das Ende der regelmäßigen Auftritte in der Hofkapelle doch ohne Zweifel einen bedeutsamen Einschnitt im Leben des jungen Komponisten; und vielleicht hat er sich gerade deshalb bei dem Werk, das an der Schwelle dieses neuen Lebenabschnitts entstand, ganz besondere Ziele gesetzt – und man darf dem Urteil Hans-Joachim Hinrichsens, eines der intimsten Kenner des Schubertschen Gesamtwerkes,  beipflichten, der in diesem 111 Jahre lang unveröffentlicht gebliebenen Autograph das „wohl interessanteste Dokument dieser ersten Jahre“ sah.

Es war auch Hinrichsen, der – in seinen grundlegenden „Untersuchungen zur Entwicklung der Sonatenform in der Instrumentalmusik Franz Schuberts“ (1994) – die Hypothese aufstellte, Schubert habe sich bei der Komposition unseres Allegros den Kopfsatz von Mozarts B-Dur-Klaviertrio KV 502 (1788) zum Vorbild genommen, und zwar „nicht als ein in Einzelheiten nachgeahmtes Modell, sondern allgemeiner als Orientierungsmuster für die formale Architektur“.

Unbestreitbares Faktum ist jedenfalls, daß das, was Schubert in der ersten Arbeitsphase zu Papier brachte (die Takte 1-132, also die Exposition des Werkes) einige frappierende formale Parallelen zum Mozartschen Satz aufweist, die noch auffälliger werden, wenn man dem von Schubert im weiteren Verlauf der Arbeit getilgten Wiederholungszeichen zwischen nach Takt 79 Aufmerksamkeit schenkt: Dann erscheint nämlich die formale und tonale (nicht aber die thematische) Anlage des davor liegenden Abschnitts als Pendant zur Exposition, der unmittelbar nachfolgende Teil an die Durchführung des Modells angelehnt. Weit bemerkenswerter als diese – wie alle solche Hypothesen völlig unbeweisbare – Abhängigkeit, ist freilich die in den folgenden beiden Arbeitsschritten von Schubert vorgenommene Umdeutung dieses ersten Entwurfs. Offensichtlich hat er nämlich, was ursprünglich als abgeschlossenes Satzganzes gedacht war, in der Folge zur Exposition umfunktioniert und dadurch die Architektur des Stückes drastisch erweitert. Die im abschließenden Arbeitsschritt niedergeschriebene Reprise dokumentiert dann durch die souverän vorgenommene Neureihung des Expositionsmaterials ein grundlegend geändertes Funktionsverständnis. Daß diese Reprise mit 132 Takten exakt die selbe Länge wie die ursprünglich unter völlig anderen Voraussetzungen niedergeschriebene Exposition aufweist, könnte ein zusätzliches Indiz für die besondere Aufmerksamkeit sein, die der junge Komponist hier dem formalen Aufbau geschenkt hat.

Während der – für ein Klaviertrio 1812 schon leicht anachronistisch wirkende – Titel „Sonate“ ebenso wie die von Schubert gewählte „altertümliche“ Partituranordnung (mit der Geigenstimme über und der Violoncellostimme unter dem die Mitte einnehmenden Klavierpart) und das von Hinrichsen in Betracht gezogene Mozartsche Modell in die (wenn auch gar nicht so weit zurückliegende) Vergangenheit weisen, ist die klingende Gegenwart des durchaus nicht miniaturhaften Stückes voller Zukunftsversprechen: Zwei Jahre später – Schubert hat inzwischen das Konvikt verlassen und ist in das Elternhaus in der Säulengasse zurückgekehrt – werden wir den Komponisten bei der Arbeit an seinem achten (!) Streichquartett (B-Dur, op. posth. 168 / D 112), einem der verblüffendsten und faszinierendsten Instrumentalwerke dieser Frühzeit, finden, das wieder in Schuberts Lieblingstonart B-Dur steht, und in dessen Incipit man ohne große Mühe das gereifte und geadelte „Seitenthema“ unserer Sonate wiedererkennen kann…

© Claus-Christian Schuster