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Haydn – Trio Hob.XV:32

Joseph Haydn
*  31. März (1. April) 1732 Rohrau (Niederösterreich)
+ 31. Mai 1809 Wien

Trio G-Dur Hob.XV:32
komponiert: London, 1791/92 (?)
Widmung: (Marianne von Genzinger / Maria Anna Tost, geb. Jerlischek (?))
Uraufführung: nicht dokumentiert
Erstausgabe: Preston, London, 1794

Lange Zeit hindurch war dieses Werk nur in seiner (ursprünglichen?) Fassung als Sonate für Violine und Klavier bekannt. Manches spricht dafür, daß es sich wirklich um Haydns einziges Originalwerk dieses Genres handeln könnte – die auffällige Übereinstimmung des Beginns mit dem Thema des zweites Satzes aus W. A. Mozarts G-Dur-Sonate KV 301, die ja ebenfalls eine zweisätzige Violinsonate ist, könnte so besehen auch bewußtes Zitat sein. Mit ziemlicher Sicherheit kann man annehmen, daß diese „Sonate“ Haydns einzige Klavierkomposition aus der Zeit seines ersten Londoner Aufenthaltes (Jänner 1791 – Juni 1792) ist. Für ein „unkommerzielles“ Vergnügen, wie es das Schreiben eines so unspektakulären Stückes Kammermusik war, hatte der Meister damals allerdings wirklich wenig Zeit:

„…wenn Euer gnaden seheten, wie ich hier in London Seccirt werde in allen denen privat Musicken beyzuwohnen, wobey ich sehr viel zeit verliehre, und die menge deren arbeithen so man mir aufbürdet, würden Sie gnädige Frau mit mir und über mich das gröste Mitleyd haben, ich schriebe zeit lebens nie in Einen Jahr so viel als im gegenwärtig verflossenen, bin aber auch fast ganz Erschöpft, und mir wird es wohl thun nach meiner nach haußkunft ein wenig ausrasten zu können…“

(an Marianne von Genzinger, 17. Jänner 1792)

Daß Haydn schließlich doch noch Zeit fand, zwischen seine offiziellen Verpflichtungen die Komposition dieser Sonate einzuschieben, hat wahrscheinlich mit einem Vorfall zu tun, dessen Hintergründe nicht restlos geklärt sind: Anscheinend hatte Haydns Wiener Adlatus und Kopist Johann Elßler die Abwesenheit des Meisters dazu mißbraucht, eine Klaviersonate (wahrscheinlich Hob.XVI:49), die Haydn Frau von Genzinger und/oder deren Freundin Maria Anna („Nanette“) Jerlischek zugedacht hatte, zu eigenem Gewinn an den Wiener Verleger Artaria zu verkaufen, der das Werk natürlich ohne die vom Komponisten intendierte Widmung druckte. Haydn  ist empört:

„…ich Erschracke nicht wenig, als ich die unangenehme nachricht von der Sonate lesen muste, bey gott! Ich wolte lieber 25 Ducaten verlohren haben, als diesen diebstahl zu erfahren, und diss kann niemand anderer gethan haben, als mein eigener Copist. Allein, ich hofe zu Gott diesen verlust zu ersetzen…“

(an Marianne von Genzinger, falsch (?) datiert 2. März 1792)

Da unser Trio das einzige Klavierwerk dieser Zeit ist, liegt die Vermutung nahe, daß es sich hier um dieses versprochene „Ersatzstück“ handelt. Gedruckt wurde das Werk, und zwar wieder ohne Widmung, erst zwei Jahre später, während Haydns zweitem Londoner Aufenthalt. Die beiden Fassungen erschienen nahezu gleichzeitig, die Trioversion bei Haydns Londoner Verlag Preston und die Violinsonate in Wien bei Artaria. Es besteht zunächst kein triftiger Grund, an der Authentizität der Triofassung, d. h. konkret: der Cellostimme, zu zweifeln. Allerdings hat sich in einem in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrten Manuskriptband eine offenbar nur wenige Jahre später entstandene Alternativfassung des Werkes erhalten, deren Cellostimme recht einschneidende Änderungen gegenüber der gedruckten Version aufweist. Das mag zunächst von rein philologischem Interesse sein – schließlich haben die Cellostimmen der Haydnschen Klaviertrios den Ruf, nichts weiter als willenlose Sklaven des Klavierbasses zu sein. Der Vergleich dieser beiden Fassungen zeigt uns aber, daß die zeitgenössische Aufführungspraxis auch in von den meisten heutigen Hörern und Interpreten als untergeordnet und nebensächlich empfundene Details eine ganze Menge Phantasie investieren konnte. Wo wir oft Gefahr laufen, uns vom Buchstaben des Textes beengt zu fühlen, bevor wir noch seinen Sinn erfaßt haben, verstand man damals offenbar, die vom Komponisten gewährten Freiräume spielerisch zu erfüllen. Freilich weisen beide Fassungen – die gedruckte Londoner und die handschriftliche aus Berlin – in einigen charakteristischen Details (Stimmführung und -lage, Tonlängen etc.) Abweichungen von den Cellostimmen der anderen Klaviertrios auf. Ob man daraus nun schließen mag, daß keine der beiden Stimmen authentisch sei (wie das die Herausgeber der Haydn-Gesamtausgabe tun), oder ob man darin einfach ein Indiz für die Priorität der Duofassung sehen will – in jedem Fall ist es anregend, sich durch solche Fragen zu genauerem Hören verleiten zu lassen: im Detail steckt nicht nur der Teufel, sondern auch das Genie…

Unter den fünfzehn zwischen 1792 und 1796 entstandenen Haydnschen Klaviertrios gibt es nur zwei zweisätzige Werke. Das zweite Werk, das 1794/95 komponierte Trio in es-moll (Hob.XV:31) ist eine Pasticcio-Komposition, bei der Haydn den in anderem Zusammenhang niedergeschriebenen Es-Dur-Satz einer Violinsonate („Jakobs Traum“) als Finale verwendete. Festzuhalten ist also, daß in beiden Fällen durch die Entstehungsgeschichte ein enger Konnex zum Genre der Violinsonate gegeben ist. Unser G-Dur-Trio repräsentiert mit seinen beiden in der gleichen Tonart stehenden Sätzen einen Sonatentyp, den etwa auch Mozart seinen Kurfürstin-Sonaten („op.II“, KV 301-306) zugrundegelegt hat.

Ganz nahe an die Welt dieser Sonaten führt uns der erste Satz unseres Trios. Der Anfang dieses Andantes scheint, wie schon oben erwähnt, mit dem Beginn des zweiten Satzes, Allegro, aus der ersten dieser Violinsonaten (e-moll, KV 301, Mannheim 1778) identisch zu sein. Doch gerade an einer solchen Konstellation läßt sich sehr gut studieren, wie sehr die Physiognomie eines Kunstwerkes eben nicht durch das Was, sondern durch das Wie bestimmt wird. Haydn und Mozart gehen von der selben thematischen Keimzelle aus: Themenkopf (die ersten acht Noten), Metrum (bei Mozart Dreiachtel-, bei Haydn Sechsachteltakt) und rhythmische Struktur (in beiden Fällen durchgehende Achtelbewegung) entsprechen einander aufs Haar. Mehr noch: beide Meister machen diese Keimzelle zum Ausgangspunkt einer bis in Einzelheiten übereinstimmenden formalen Großanlage – sogar das harmonische Grundgerüst der beiden Sätze ist nahezu ident. So weitgehend ist die äußere Verwandtschaft, daß man gar nicht mehr erstaunt ist, bei näherer Untersuchung herauszufinden, daß auch die Dimensionen völlig übereinstimmen: den 158 Sechsachteltakten Haydns entsprechen bei Mozart (unter Berücksichtigung der obligaten Wiederholungen) 325 Dreiachteltakte. (Daß diese Fülle von Analogien auch das Resultat bewußter Paraphrasierung sein könnte, wurde ja schon eingangs in Erwägung gezogen.) Aber wer nach all dem Gesagten meint, Aussage und Charakter der zwei Stücke müßten bei so vielen materiellen Ähnlichkeiten nahe verwandt sein, irrt. Was bei Mozart ein französisch angehauchter, schwerelos-tändelnder Tanz mit flüchtigen melancholischen Schatten ist, wird bei Haydn zu einem eigenwillig-bedächtigen Stück Musik mit dramatischen Akzenten. Wenn man aus jeder Verästelung des weitverzweigten Themas nach und nach frische Variationen hervorsprießen sieht, fühlt man sich mitten in den erdigen Duft des ersten Frühlingsmorgens versetzt. Diese beseelte Erdenschwere gewinnt Haydn aus den mit unzähligen Sforzati belasteten „leichten“ Taktteilen, ein Kunstgriff, den er wenige Jahre später in der „Schöpfung“ bei der  Schilderung des dritten Schöpfungstages („Nun beut die Flur das frische Grün dem Auge zur Ergötzung dar…“, Hob.XXI:2, Nr.9) in ganz analoger Weise (wenn auch viel sparsamer) einsetzen wird.

Das abschließende Allegro ist auf vielfältige und subtile Weise mit dem vorangehenden Satz verbunden und stellt so etwas wie die Ernte der im Andante gelegten Saat dar. Es ist ein breit ausgeführter Sonatensatz mit einer Fülle von thematischen Einfällen. Das Hauptthema ist dialogisierend angelegt; die „Satzzeichen“ (=Pausen) zwischen den einzelnen Repliken vermitteln den Eindruck eines allmählich in Gang kommenden Gesprächs. Und ganz so, als würde man einer geistreichen Konversation folgen, die nach und nach auf immer ungezwungenere und freiere Bahnen gerät, können wir im Folgenden miterleben, wie ein Gedanke nach dem anderen aufblitzt, zunächst nur als spielerische Möglichkeit, bis er schließlich seine endgültige, ausformulierte Gestalt annimmt. Eingebettet in den Seitensatz liegt ein kontrastierender, humoristisch kurzatmiger Einfall, dessen Italianità unüberhörbar ist – er würde sich in jeder Rossinischen Buffo-Arie hervorragend ausnehmen. (Man sollte nicht vergessen, daß Haydn – vor allem im schriftlichen Ausdruck – im Italienischen gewandter war als im Deutschen; die teilweise erhaltene Korrespondenz mit seiner langjährigen Geliebten, der Sängerin Luigia Polzelli (1760-1832), belegt das eindrucksvoll.) Gerade dieses „italienische“ Motiv wird dann zum eigentlichen Motor der Durchführung, die mit Ausnahme einer unscheinbaren Überleitungswendung aus dem Hauptthema und einer simplen Schlußfloskel sonst nichts von all dem thematischen Überfluß der Exposition  wissen will. Diese eigenwillige Art der Entwicklung, bei der die Durchführung weder die „eigentlichen“ Themen verwertet noch auch eigenständiges neues Material bringt, stellt an die Gestaltungskraft des Komponisten sehr hohe Anforderungen; niemand ist diesen schwierigen Weg so oft gegangen wie Haydn. Es bereitet ein besonderes Vergnügen, zu sehen, wie diese Durchführung sich aus den kümmerlichen Brosamen der Exposition eine Kraftnahrung zusammenbraut, die ihr schließlich ganz unerwartete dramatische Energie verleiht. Vielleicht ist es diese Unabhängigkeit der Durchführung, die Haydn dazu bewog, diesmal auf eine kunstreiche Rückführung zur Reprise zu verzichten und die Nahtstelle zwischen den beiden Formteilen unbekümmert offenzulegen. Strenge Kommentatoren, die hier einen Stilbruch wittern, neigen freilich eher dazu, diese auffällige „Rücksichtslosigkeit“ mit dem Zeitdruck zu entschuldigen, unter dem wohl auch dieser Satz entstanden sein muß. Wenn Haydn aber am Ende der Reprise die artistische Glanzleistung der Durchführung in einer sie en miniature paraphrasierenden Coda noch einmal nachspielt, meint man doch, ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen, und ist nur zu geneigt, die Zufriedenheit des Meisters dankbar zu teilen.

© Claus-Christian Schuster

Haydn – Trio Hob.XV:30

Joseph Haydn
* 31. März (1. April) 1732 Rohrau (Niederösterreich)
† 31. Mai 1809 Wien

Trio Es-Dur op. 79 (Hob.XV:30, Robbins Landon Nr. 42)

komponiert: Wien, beendet vor dem 9. November 1796

Uraufführung: nicht dokumentiert

Erstausgabe: Artaria, Wien, Oktober 1797

Schon am 16. April 1796 kündigt Haydn seinem Verleger Christoph Gottlob Breitkopf – „nur noch ein wenig geduld, Sie werden Geld und Music erhalten“ – die Übersendung dieses Werkes an, das er aber dann doch erst am 9. November 1796 abschicken kann. Die „versprochene Claviersonate“ ist Haydns letztes Klaviertrio und ein würdiger Abschluß für diese in der Geschichte unseres Genres einzigartige Werkreihe; sie ist darüber hinaus auch Haydns letzte Komposition für Klavier – alle weiteren Pläne sind über das Entwurfstadium nicht hinausgediehen. An Weite der Anlage und harmonischem Reichtum übertrifft dieses Trio fast alle seine Vorgänger, unter denen es allerdings einige gibt, die formal und idiomatisch noch weiter in bis dahin unerforschtes Neuland vordringen.

Der erste Satz (Allegro moderato) entfaltet einen sogar für Haydn ungewöhnlichen Ideenreichtum. Man hat in etlichen Details ebenso wie in der Gesamtanlage dieses prächtigen Satzes den Nachklang mozartischer Modelle zu hören gemeint; mir  scheint aber eher, daß Haydn hier in größter Abrundung und Vollendung die Quintessenz seiner ureigensten Errungenschaften und Erfahrungen vorlegt – und nur in dieser Brechung ist natürlich auch der Schatten Mozarts gegenwärtig. Die Exposition quillt förmlich über von thematischem Material, das auf subtilste Weise miteinander verknüpft wird. Eben diese Verknüpfung ist es, in der Haydn seine ganze Meisterschaft erweist. Ein unscheinbares Motiv, das im ersten Takt als Begleitung versteckt auftritt, dient in den verschiedensten Metamorphosen als Klammer zwischen den einzelnen Formteilen. Zwei voll entwickelte Hauptthemen werden vor uns ausgebreitet, bevor uns eine Variation des ersten gleichsam durch einen Nebeneingang zum Seitensatz führt. Bei dieser Gelegenheit tritt ein zweites, in der Tat ganz mozartisch anmutendes Klammermotiv (eine Achtelkette von „Sospiri“) auf, das sich zuvor an unscheinbarer Stelle im zweiten Hauptthema verborgen hatte und erst nun seine Wandlungsfähigkeit erweisen kann. Bemerkenswert und außergewöhnlich ist die Wahl der Molldominante als Tonart für das zweite Seitenthema – einer Tonart, die im Idiom der Wiener Klassik meist ein Vorbote außergewöhnlicher Komplikationen ist, zumal wenn sie an so prominenter Stelle auftritt. Hier kündigt sie aber nur die erstaunliche Erweiterung des harmonischen Horizontes an, die uns in der Durchführung erwartet. Dabei erweist sich wieder einmal, daß auch entfernteste Tonarten nicht willkürlich, einer Genielaune folgend, sondern nur in Erfüllung einer inneren organischen Notwendigkeit  aufgesucht werden. So erstaunt es uns nicht, gleich am Eingang der Durchführung nacheinander jene Trabantentonarten von Es-Dur zu finden, die uns schon aus anderem Zusammenhang vertraut sind (vgl. Hob.XV:29 und Hob.XV:31): Das erste Hauptthema erscheint in Ces(H)-Dur, während uns das zweite unmittelbar darauf in einer es-moll-Verkleidung entgegentritt. Von hier aus führt uns Haydn gleichsam auf einem Saumpfad über Des-Dur, es-moll, f-moll und c-moll zurück zur Tonika, von der die nach all diesen Abenteuern unerwartet regelmäßige Reprise ihren Ausgang nimmt.

Auch der zweite Satz (Andante con moto, C-Dur) verrät in jedem Takt den reifen Meister. Der für einen langsamen Satz eher ungebräuchliche Dreiachteltakt (von Haydn in keinem seiner anderen Trios in dieser Funktion verwendet) sorgt für einen leichten Fluß, der uns scheinbar schwerelos über das chromatisch blühende Terrain trägt. Der rastlosen Modulatorik der Ecksätze steht hier eine unerschütterliche Stabilität gegenüber – die Grundtonart C-Dur herrscht uneingeschränkt über den ganzen Satz. Allerdings ist diese Tonart selbst (Variante der Mollparallele) schon eine kleine Kostbarkeit: Haydn scheint eine besondere Vorliebe für diese nicht sehr naheliegende Verwandtschaft besessen zu haben – in seinen späten Trios kommt sie gleich viermal vor (Hob.XV:20, Hob XV:25, Hob.XV:27, Hob.XV:30) -, und Beethoven hat diese Neigung vielleicht von seinem Lehrmeister geerbt, wie sich etwa aus seinen aus eben dieser Zeit stammenden Werken op.1/Nr.2 (Klaviertrio G-Dur) und op.7 (Klaviersonate Es-Dur) schließen ließe. (Übrigens werden wir Beethoven noch ein gutes Jahrzehnt später diesem Erbe treu finden – und zwar wieder in einem in Es-Dur stehenden Schlüsselwerk der Klaviertrioliteratur: op.70/Nr.2). – Die Form des Satzes ist die „gewöhnliche“ dreiteilige Liedform – aber mit welchem Raffinement und welcher Freiheit gehandhabt! Durch dezent eingesetzte Asymmetrie versteht Haydn es, dem ganzen Satz einen Anschein improvisatorischer Freiheit zu geben. Vor allem aber gelingt ihm das seltene Kunststück, die Wiederholung des Hauptteils durch Angleichung der Textur und Vertauschen einzelner Abschnitte so innig mit dem Mittelteil zu verschmelzen, daß das (üblicherweise in langsamen Sätzen  durchaus erwünschte) statische Element dieser Bauart völlig aufgehoben erscheint.

Nicht einmal für die Überleitung zum attacca anschließenden Presto wird die Grundtonart des zweiten Satzes verlassen. Direkt von der Dominante G-Dur aus werden wir in den ungebändigten Übermut dieses entfesselten „Deutschen Tanzes“ entlassen. Hier erklärt sich auch rückblickend, warum dem Komponisten so sehr an der Aufrechterhaltung des Flusses und der Dynamisierung der Form im Andante gelegen war. Er hat nämlich auch für diesen Schlußsatz die dreiteilige Form gewählt, wobei der Tanzcharakter eine „genaue“, unverschleierte Reprise wünschenswert erscheinen ließ. Durch die so grundsätzlich andere Handhabung des gleichen Formschemas im vorhergehenden Satz vermeidet er auch den leisesten Anflug von Stereotypie. Im Mittelteil finden wir wieder unsere alten Bekannten es-moll und H-Dur in fulminanter Aktion – diesmal in kroatischer Bauerntracht. Eine geistreiche und brillante Coda setzt einen lapidaren Schlußpunkt unter Haydns letztes Klaviertrio.

Haydn – Trio Hob.XV:31

Joseph Haydn
*  31. März (1. April) 1732 Rohrau (Niederösterreich)
+ 31. Mai 1809 Wien

Trio es-moll Hob. XV:31

komponiert: London, 1794/95

Widmung: ursprünglich wohl für Theresa Jansen (später Bartolozzi, 1770-1843)
Erstdruck der Triofassung: Magdalena Kurzböck (1770-1845)
Duofassung (Klavier/Violine): Alexandrine Louise Eugénie Moreau, geb. Hulot d´Oseray (1781-1821)

Uraufführung: nicht dokumentiert

Erstausgabe: Johann Traeg, Wien, 1803

 In seinem ersten Londoner Notizbuch von 1791 erwähnt Haydn unter den hervorragenden Musikern der Stadt eine damals einundzwanzigjährige, aus Aachen stammende Pianistin: Theresa Jansen (1770-1843). Sie war Schülerin von Muzio Clementi und scheint Haydn mit ihrem Spiel so beeindruckt zu haben, daß er ihr den anspruchsvollsten Teil seines klavieristischen Spätwerkes widmete: zumindest zwei der letzten drei Klaviersonaten (C-Dur, Hob. XVI:50, und Es-Dur, Hob. XVI:52) und die letzte Dreiergruppe von Klaviertrios (Hob. XV:27-29). Wahrscheinlich sind alle fünf Werke während Haydns zweitem Londoner Aufenthalt (4. Februar 1794 bis 15. August 1795) entstanden. Die Klaviersonaten sind noch Miss Jansen gewidmet, sind also jedenfalls vor ihrer Hochzeit mit dem Kunsthändler Gaetano Bartolozzi (16. Mai 1795) geschrieben, bei der Haydn Trauzeuge war. Aus eben dieser Zeit stammt auch unser es-moll-Trio, dessen Entstehung Gegenstand einer uns von dem Maler und Haydn-Biographen Albert Christoph Dies überlieferten Anekdote ist:

„…(Haydn) stand in London in genauer Bekanntschaft mit einem deutschen Musikliebhaber, der sich auf der Geige eine an Virtuosität gränzende Fertigkeit erworben, aber die üble Gewohnheit hatte, sich immer in den höchsten Tönen, in der Nähe des Steges zu versteigen. Haydn nahm sich vor, einen Versuch zu machen, ob es nicht möglich wäre, dem Dilettanten seine Gewohnheit zu verleiden und ihm Gefühl für ein solides Spiel beyzubringen.

Der Dilettant besuchte oft eine Demoiselle J(ansen,) die mit großer Fertigkeit das Pianoforte spielte, wozu er gewöhnlich akkompagnirte. Haydn schrieb ganz in der Stille eine Sonate für das Pianoforte mit Begleitung einer Violine, betitelte die Sonate Jakobs Traum und ließ sie versiegelt, ohne Nahmensunterschrift durch sichere Hände, der Demoiselle J(ansen) überliefern, die auch nicht weilte, die dem Anschein nach leichte Sonate, in Gesellschaft des Dilettanten zu probiren. Was Haydn vorher gesehen hatte, traf richtig ein; der Dilettant blieb immer in den höchsten Tönen, wo die Passagen überhäuft waren, stecken, und sobald Demoiselle J(ansen) dem Gedanken auf die Spur kam, daß der unbekannte Verfasser die Himmelsleiter, die Jakob im Traum sah, habe vorstellen wollen, und sie dann bemerkte, wie der Dilettant auf dieser Leiter bald schwerfällig, unsicher, stolpernd, bald taumelnd, hüpfend auf und abstieg: so schien ihr die Sache so kurzweilig, daß sie das Lachen nicht verbergen konnte, während der Dilettant auf den unbekannten Compositor schimpfte, und dreist behauptete: derselbe wisse nicht für die Violine zu setzen.

Nach fünf oder sechs Monathen entdeckte es sich erst, daß die Sonate Haydn zum Author habe, der nun dafür von der Demoiselle J(ansen) ein Geschenk erhielt.“

(Albert Christoph Dies, Biographische Nachrichten von Joseph Haydn, Wien 1810)

Hält man sich die hier beschriebene Entstehungsgeschichte des Finalsatzes unseres Trios vor Augen, wird man wohl zunächst ein durch und durch humoristisches Werk zu finden erwarten. Doch der es-moll-Kopfsatz, den Haydn Anfang 1795 nachkomponierte, um aus „Jakobs Traum“ ein zweisätziges Trio zu machen, gehört zu seinen tiefsinnigsten und ernsthaftesten Schöpfungen. Als ob Haydn besorgt gewesen wäre, daß man die tiefere Bedeutung seines Werkes verkennen könnte, tilgte er im Autograph nicht nur den auf den Entstehungsanlaß bezüglichen Titel des Finales, sondern setzte auch die Worte „In Nomine Dei“ an den Anfang und „Laus Deo“ an das Ende des Werkes. Aber auch ohne diese Hinweise wird wohl keinem aufmerksamen Hörer verborgen bleiben, daß Haydn hier, freilich ohne alle gesuchte Grübelei und mit der ihm eigenen Natürlichkeit und Glaubenseinfalt, von letzten Dingen spricht.

Haydn war offenbar selbst von dem Werk, dem man seine Pasticcio-Abstammung nicht im mindesten ansah, so angetan, daß er der Versuchung nicht widerstehen mochte, es gleich mehrmals an den Mann, richtiger: an die Frau zu bringen. Da die allererste Adressatin, die inzwischen glücklich verheiratete ehemalige Mademoiselle Jansen, ohnehin mit einem ganzen Triobouquet und zwei prächtigen Klaviersonaten beschenkt worden war, konnte er den 1803 bei Johann Traeg in Wien verlegten Erstdruck des Werkes der gleichaltrigen und nicht weniger brillanten Pianistin Magdalena von Kurzböck widmen, die nach den Berichten der Zeitgenossen um 1800 als die beste Mozart-Interpretin Wiens galt – ihr Vater, der Universitätsbuchhändler und Schriftsteller Joseph Edler von Kurzböck (1736-1792) hatte 1774 Haydns Klaviersonaten Hob. XVI:21-26 verlegt; unser Trio ist übrigens nicht das einzige Haydn-Werk, das die beiden Jahrgangskolleginnen teilen mußten: Auch die Artaria-Ausgabe der letzten Klaviersonate Hob. XVI:52 trägt anstelle von Haydns ursprünglicher Widmung an Therese Jansen eine solche an Magdalena Kurzböck.

Als aber Fürst Nikolaus II. Esterhazy Haydn noch im selben Jahr 1803 um ein Werk für Madame Moreau, die junge Gattin des französischen Feldherren (und späteren Widersachers Napoleons) Jean-Victor Moreau (1763-1813), bat, schickte der Meister eine im Handumdrehen hergestellte Schmalspurfassung unseres Trios für Klavier und Violine nach Paris und gab sie  als eigens und neu komponiertes Werk aus – ein manchen Moralisten vielleicht irritierender Zug im Wesen Haydns, der übrigens nicht vereinzelt dasteht (man denke etwa an die sattsam bekannte Pleyel-Affaire). Die dritte und letzte Widmungsträgerin unseres vielgesichtigen Es-moll-Trios war eine Kreolin: als Tochter Guy Hulot d´Oserays, des Generalschatzmeisters von Mauritius, war sie in Port Louis geboren worden; in Paris gehörte sie dann bald zur Entourage von Joséphine Beauharnais-Bonaparte, die es ja auch von einer fernen Insel (Martinique) in die französische Hauptstadt verschlagen hatte. Joséphine war es denn auch gewesen, die im November 1800 die Eheschließung des ruhmreichen Generals Moreau mit ihrer 19jährigen Freundin arrangiert hatte. Das Paar hatte sich aus den Kriegswirren und politischen Intrigen auf Schloß Grosbois (Boissy-Saint-Léger) zurückgezogen; doch schon wenige Monate nachdem Haydn Madame Moreau die „gefälschte“ Sonate zugedacht hatte, ließ Napoleon den ihm gefährlich gewordenen Ehemann verhaften und verbannen – und so mußte sie zusammen mit ihrem Mann 1804 Frankreich verlassen. Nach mehrjährigem Exil in Morrisville (Pennsylvania) wird das Ehepaar erst 1813 zum Endkampf gegen Napoleon wieder nach Europa zurückkehren, wo Jean-Victor Moreau bei Dresden schwer verwundet wird und am 2. September 1813 stirbt. Louis XVIII. übersendet nach der endgültigen Niederschlagung Napoleons der Witwe Moreau den Marschallstab, und nun kann endlich auch die ihr von Haydn gewidmete „Dernière Sonate“ mit der Widmung an die „Maréchale Moreau“ erscheinen…

Wie seltsam auch immer die Begleitumstände der Komposition gewesen sein mögen: uns bleibt die Freude über ein höchst originelles und faszinierendes Klaviertrio. Mit der größten Selbstverständlichkeit gelingt es Haydn, die beiden Sätze in all ihrer Verschiedenheit in den Dienst eines einheitlichen und eindrucksvollen dramaturgischen Konzeptes zu stellen. Besonders bemerkenswert ist etwa, wie er eine sehr charakteristische und an zentraler Stelle plazierte, aber für den Verlauf des Es-Dur-Finales nicht weiter folgenreiche Modulation zum Ausgangspunkt der tonartlichen Anlage des nachkomponierten Kopfsatzes (Andante, es-moll) macht: Den dort berührten Tonarten es-moll und H-Dur (die übrigens auch in dem wohl in enger zeitlicher Nachbarschaft entstandenen Trio Hob. XV:29 zusammen mit Es-Dur eine Art Triumvirat bilden) werden hier eigenständige Bezirke von formtragender Bedeutung eingeräumt: Der formalen Anlage ABACA entspricht nämlich der Tonartenplan es-Es-es-H-es. Doch der Satz hat nicht nur mit einem extravaganten tonalen Bauplan aufzuwarten, er birgt – trotz der auf den ersten Blick „schulmäßigen“ Rondogestalt – auch formal einiges an Überraschungen. Die erste Episode (Es-Dur) beginnt mit einer Umkehrung des Rondothemas. Im Zusammenspiel mit dem liedartigen Bau beider Abschnitte (A und B) wird dadurch im Zuhörer die Erwartung geweckt, man stünde am Beginn einer Doppelvariationsreihe. Erst mit der unveränderten Wiederkehr des Ritornells erscheint diese Erwartung getäuscht. Doch nachdem uns Haydn mit der zweiten Episode (H-Dur), die auf neuem thematischen Material basiert, in der Sicherheit eines „normalen“ Rondoablaufs wiegt, greift das abschließende Ritornell doch noch den immanenten Variationsgedanken auf. Auch unter diesem Aspekt ist die Verwandtschaft unseres Satzes zum Kopfsatz von Hob. XV:29 auffällig.

Das folgende Allegro (Es-Dur), also der 1794, einige Monate vor dem Andante als „Jakobs Traum“ geschriebene Schlußsatz, ist zwar formal und harmonisch von weit schlichterem Zuschnitt, demonstriert aber Haydns unerschöpfliche Variationskunst in ebenso brillanter Weise. Die traditionelle dreiteilige Liedform, die dem Satz zugrunde liegt, ist durch assoziative und variierende Gestaltungselemente so aufgelockert, daß sie gleichsam nur noch wie von ferne durchzuschimmern scheint. Alle Aufmerksamkeit ist auf das geistvolle Passagenspiel gerichtet, in dem Klavier und Geige einander in immer neuen, mitunter halsbrecherischen Wendungen zu überbieten suchen. Genau in der Mitte des Mittelteils erklimmt dann die Geige mit gis3 die höchste Sprosse der Jakobsleiter und entrückt uns für einige kurze Augenblicke in jenes verklärte H-Dur, das ja, wie wir gesehen haben, auch schon die Zentralepisode des Andantes überstrahlt hat. In der Reprise überwuchern immer üppiger werdende Figurationen die ursprüngliche Gestalt des Hauptteils, bis eine fanfarenartige Coda das Werk festlich beschließt.

© Claus-Christian Schuster